Als junges Ehepaar übergaben Nico und Ammy Herschel ihr Baby in die Obhut anderer Menschen. Weil es die einzige Möglichkeit war, ihren 1942 im niederländischen Zwolle geborenen Sohn vor der Deportation in die deutschen Konzentrationslager und damit vor dem Tod zu bewahren. Das jüdische Ehepaar war bereits im Ghetto in ihrer niederländischen Heimat interniert, als es christlichen Bekannten gelang, den kleinen Tswi herauszuschmuggeln. Seine Eltern wurden im Alter von 24 und 27 Jahren im deutschen Todeslager Sobibor ermordet. Herschel schilderte, wie er von der Familie de Jongh versteckt und bis zum Kriegsende wie ein eigenes Kind aufgezogen wurde. Erst lange nachdem ihn seine Großmutter im Mai 1945 zu sich geholt hatte, erfuhr er im Alter von acht Jahren von seinen wahren Eltern. Tswi Herschel und seine Tochter Natali führten vor rund 250 Zuhörern, darunter viele Polizei-Studenten und Führungskräfte, welche Traumata die Geschehnisse in ihrer Familie auslösten. Dabei schlugen sie auch den Bogen zu den Holocaust-Verbrechen insgesamt und zeigten die Dimension der NS-Vernichtungspolitik auf.
Beide verbanden die Erinnerung an die Vergangenheit mit dem Appell, Verantwortung in der Gegenwart zu übernehmen. „Auf Sie kommt es an“, betonte Tswi Herschel mit Blick in die Zuhörer-Reihen. Er verwies auf antisemitistische Umtriebe in der Gegenwart und andere menschenverachtende Tendenzen. „Ihr seid nicht verantwortlich für das was geschehen ist. Aber jeder Einzelne ist verantwortlich, dass es nicht wieder so weit kommt“, betonte Herschel.
In einer anschließenden Podiumsdiskussion tauschten sich die beiden Referenten mit dem Berliner Historiker Johannes Spohr, einem Täter-Nachkommen, aus. Spohrs Großvater war als Offizier der Wehrmacht in der Ukraine und in Russland im Einsatz, sein Enkel forscht intensiv zum Nationalsozialismus.
In der Anfangsphase der Veranstaltung hatten der Direktor der Polizeiakademie Carsten Rose und Dirk Götting, Wissenschaftlicher Direktor der Akademie, sowie Innenministerin Daniela Behrens betont, dass die Behandlung des Nationalsozialismus ein fester Bestandteil der Ausbildung des Polizeinachwuchses in Niedersachsen sei. „Die Polizei ist die erste Verteidigerin der Demokratie und unserer liberalen Werte. Demokratie muss erkämpft, gepflegt und auch verteidigt werden“, unterstrich die Ministerin. Rose hielt fest, der Erhalt der Erinnerung an die Schrecken der NS-Zeit sei eine „wichtige Aufgabe zur Stärkung unserer Demokratie und im Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus und Antisemitismus – auch für uns in der Polizei. Für uns gilt, immer wieder an die Ereignisse zu erinnern und Bezugslinien zu den Grundwerten unserer Demokratie herzustellen.“
Götting zeigte in einem Vortrag auf, inwiefern Polizisten und Polizeiorganisationen in tragenden Rollen in die Vernichtungspolitik des dritten Reiches eingebunden waren. Es sei wichtig, sich mit dieser Verstrickung bewusst auseinanderzusetzen. Dies sei ein Beitrag zur Stärkung eines gefestigten demokratischen Selbstverständnisses der Polizei. „Wir sind politisch neutral, aber nicht wertneutral. Wir treten ein für eine pluralistische und freiheitliche Gesellschaft“, betonte er. Für den persönlichen Kompass müsse zudem der Grundsatz gelten: „Immer Mensch bleiben“. Foto: bb