Ich weiß nicht, ob ich gerade einen schlechten Lauf habe oder ob es ganz allgemein bergab geht mit dem freundlichen Umgang miteinander. So richtig angefangen, darüber nachzudenken, hatte ich vor einiger Zeit, als ich nach dem Tanken den Serviceraum der Tankstelle betreten wollte. Es handelte sich um eine kleine Tankstelle mit einer nicht automatisch öffnenden Tür. Aus dem Innenraum kam mir ein mittelalter Mann entgegen, zog die Tür auf, blicke mich an und ließ die Tür wieder zufallen. Mit einem „Vielen Dank dafür“, betrat ich den Raum. Beim Umblicken sah ich, dass der Mann wohl ein Fahrlehrer war – er setzte sich auf den Beifahrerplatz eines Fahrschulwagens. Gut, dachte ich, er hat wohl einen besonders schlechten Fahranfänger dabei und daher schlechte Laune. Die Angestellte hinter der Kasse hatte den kleinen Vorfall bemerkt, winkte ab, und erklärte mir, dass sie sich nicht mehr wundere. Jeden Tag erlebe sie diese Sorte Menschen, teilweise würden sie nicht einmal mehr grüßen, wenn sie hereinkämen. In der Folge habe ich dann einmal intensiver auf mein Umfeld geachtet. In einem Supermarkt in der Kreisstadt kam mir eine Verkäuferin mit einer beladenen Gitterbox entgegen. Selbstverständlich trat ich zur Seite. Ohne einen Blick zu verschwenden, rauschte die junge Frau an mir vorbei – ein einfaches „Danke schön“ oder gar ein „Guten Morgen“ brachte die Mitarbeiterin nicht über die Lippen. Das ausbleibende Grüßen scheint aber immer weiter um sich zu greifen; das erlebe ich tatsächlich zunehmend. Als ich kürzlich auf deren Bitte den Rasen auf dem Grundstück einer anderen Familie mähte, sprach mich über den Zaun ein offensichtlicher Nachbar an:“ Ey, bist Du der neue Besitzer?“ Mich hat das distanzlose Duzen gestört – vielleicht bin ich doch inzwischen zu konservativ – bleibe aber trotzdem beim freundlichen „Sie“ bei Unbekannten. Die Nutzerin eines Fitnessstudios erzählte mir kürzlich, sie sei quasi allein in einem Trainingsraum gewesen, als eine weitere Nutzerin hinzukam und das Gerät neben ihr benutzte. Kein Blick zur Seite, kein Gruß, kein Lächeln von der anderen Frau – offenbar geht es mir nicht allein mit den Erfahrungen. Mir fällt in dem Zusammenhang dann immer wieder der „Knigge“ ein. Wer damit nichts anfangen kann: Adolf Freiherr Knigge (1752 – 1796) hatte das Standardwerk „Über den Umgang mit Menschen“, ein Buch über gutes Benehmen, veröffentlicht. Ja, werden jetzt die Kritiker sagen, dass war vielleicht im 18. Jahrhundert angemessen, aber doch nicht mehr heute. Weit gefehlt, sage ich dazu. Es geht nicht um „Messer- und Gabelkunde“ oder um die Etikette der Adeligen, sondern in weiten Bereichen um grundlegende Umgangsformen – und die sind meines Erachtens auch heute noch gültig. Die Juristin und Business-Coach Carolin Lüdemann hatte sich im SWR Anfang des Jahres ausführlich zu dem Thema Benimmregeln geäußert. Eine Aussage von ihr ist mir besonders in Erinnerung geblieben: “Das Thema Wertschätzung ist für mich ein ganz wichtiges. Dass ich jedem Menschen Wertschätzung entgegenbringe, zum Beispiel durch das Grüßen, dass ich mir Zeit für jemandem nehme, im Smalltalk, im Gespräch.“ Eine Hörerin des Senders rief daraufhin im Studio an und meinte:“ Ich würde es schon richtig schön und wichtig finden, wenn es „normal“ wäre, respektvoll, wertschätzend und freundlich mit seinen Mitmenschen umzugehen.“ Dabei rede ich hier noch gar nicht über „Hate-Speech“, Hasstiraden in den sozialen Medien oder gar das Verhalten gegenüber Rettungskräften oder Andersdenkenden. Vielmehr geht es mir um den ganz alltäglichen Umgang miteinander. Vor einigen Tagen habe ich dann einen Silberstreif am Horizont entdeckt. Ein befreundeter Polizeibeamter erzählte mir, dass ihm von einer Verkäuferin eines Einkaufsmarktes in der Stadthäger Innenstadt, ein Handy und ein prall gefülltes Portemonnaie nach draußen gebracht wurde. Restlos alles war noch vorhanden – auch das Geld in nicht unbeträchtlicher Höhe. Vielleicht hatte ich ja einfach nur einen schlechten Lauf.
Ihr Axel Bergmann