Um wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen, führte man schon immer Gebietsreformen durch. 1965 wurde eine Gruppe von 16 Fachleuten unter dem Vorsitz des Göttinger Staatsrechtlers Werner Weber mit dem Ziel gegründet, aus vielen kleinen, finanzschwachen und wenig professionell geführten Gemeinden durch Zusammenschluss deutlich weniger, aber langfristig lebensfähige Gemeinden zu schaffen. Am Ende wurde ein Gutachten vorgelegt, dass für viel Unmut in den betroffenen Gemeinden sorgte. 1974 kam dieser Prozess in Wunstorf mit der Eingliederung von Umlandgemeinden zum Abschluss. Besonders erbittert war der Widerstand im Flecken Steinhude.
Steinhude war bereits seit dem 17. Jahrhundert ein Flecken und hatte somit - im Gegensatz zu anderen Gemeinden, die zur Eingemeindung nach Wunstorf in Frage kamen - eine stadtähnliche, teils selbstverwaltete kommunale Form. „So war einiges an Erfahrung und Kommunalstolz herangewachsen“, wie Stadtarchivar Klaus Fesche im Gespräch mit dieser Zeitung erläutert. Den Steinhuder Bürgerstolz verkörperten dann auch die Rathäuser: Ratskeller – 1973 abgerissen – und das 1960 errichtete Rathaus, wie man auf einer Tafel im Rahmen der Ausstellung zur Verwaltungs- und Gebietsreform erfahren kann, die Fesche zusammen mit Hinrich Ewert konzipiert hat.
Seit dem 18. Jahrhundert war die Leinenweberei der Wirtschaftszweig, der Steinhude weit über die Ortsgrenzen hinaus zu einem Begriff machte. Ende des 19. Jahrhunderts kam der Tourismus als aufstrebender Wirtschaftszweig hinzu. Erste Wochenendhäuser entstanden in Steinhude und Tagesausflügler kamen regelmäßig am Wochenende mit der Steinhuder Meer-Bahn, die seit 1898 Steinhude unter anderem mit Wunstorf verband. „Vor allem aufgrund seiner Industrie und seiner touristischen Qualitäten sah die Zukunft für Steinhude durchaus vielversprechend aus“, so Fesche rückblickend.
Unklar war zunächst, wo man die Seeprovinz im Zuge der Reform angliedern würde. Wirtschaftlich-verkehrlich war Steinhude mehr mit Wunstorf verbunden als mit Stadthagen. Und dann war da ja noch das Steinhuder Meer, das seit 1973 komplett – bis auf die Insel Wilhelmstein – dem Land Niedersachsen gehörte. Bereits seit einem Dreivierteljahrhundert liebäugelte der Ballungsraum Hannover mit dem Steinhuder Meer. Folgerichtig wollte man das Steinhuder Meer samt Südufergemeinden dem Landkreis Hannover und somit Wunstorf eingliedern. Das bedeutete aber Trennung der bisherigen Verbundenheit zu Schaumburg samt Aufteilung der Seeprovinz.
In einer ersten Reaktion beschwor Steinhude die Einheit der Seeprovinz unter seiner Führung. Rückhalt für diesen Plan gab es in den anderen Gemeinden kaum. Wie in anderen Umlandgemeinden, so wollte man auch in Steinhude noch schnell ambitionierte Pläne verwirklichen und Geld lieber vor Ort ausgeben als später in Wunstorf einbringen. Allerdings zog man sich mit der Übergabe eines Schecks in Höhe von 800.000 DM an die Firma Nordland-Bau zwecks Bau eines Hallenbades auf dem Gelände des ehemaligen Strandbades den Unmut des Landkreises zu. Statt Baukräne kam ein Staatskommissar nach Steinhude – eingesetzt vom Regierungspräsidenten nach Intervention des Landkreises – zwecks Prüfung der Gemeindefinanzen. Ein Akt der später vom Verwaltungsgericht als unverhältnismäßig angesehen wurde.
Das weitere noch schnell beschlossene Bauvorhaben – Bau des Schulzentrums – wurde in den letzten Stunden der Selbständigkeit am 28. Februar 1974 in Auftrag gegeben. Am 8. Februar 1974 hatten Vertreter der Gemeinde – unter Vorbehalt – den Gebietsveränderungsvertrag unterzeichnet, denn noch lief eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht gegen die Reform, die im Mai 1974 aber abgelehnt wurde.
Der Widerstand in Steinhude, der in der Verfassungsbeschwerde gipfelte, was den Flecken bundesweite Beachtung einbrachte, war insgesamt heftiger als in den anderen Gemeinden. „Dass die übrigen Dörfer eher wenig Widerstand gegen die Eingliederung ins neue Wunstorf leisteten und hauptsächlich darauf bedacht waren 'ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen', lag sicher daran, dass die Dörfer erst seit einem guten Jahrhundert eigenständig walten konnten – zwischendurch noch unterbrochen durch die Weltkriege, NS-Zeit und Militärverwaltung“, resümiert Fesche. Die ganzen Aspekte gibt es auf insgesamt 40 Tafeln im Rahmen der Ausstellung „1974: Ein neues Wunstorf. Die Gebiets- und Verwaltungsreform im Rückblick“, die vom 5. bis 22. Juni noch einmal in der Abtei gezeigt wird.