Über 113.000 Stolpersteine verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig bisher in vielen Orten und mehreren Ländern Europas. 19 weitere wurden jetzt in Wunstorf an fünf Stellen, vor Wohnungen und Geschäftshäusern, in der Südstraße und der Langen Straße, in die Gehwege einzementiert, „um an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erinnern, die auf unterschiedliche Weise Opfer der nationalsozialistischen Diktatur geworden sind“, erklärte Andreas Varnholt für den Wunstorfer Arbeitskreises Erinnerungskultur. Die meisten von ihnen wurden ermordet. Einige konnten fliehen. Der jüngste von ihnen war 15 Jahre alt. Der Arbeitskreis organisierte die Aktion in mehrjähriger Vorbereitungszeit.
„Die Steine werden blinken. Und wenn man vorbeigeht, dann kann man sich über das Geschehen und die Personen unterhalten. Sie leben durch diese Steine weiter“, erklärte Varnholt beim Verlegen vor der Langen Straße 37. Immer wieder beschrieb Varnholt die Lebenswege der jüdischen Mitbürger. An dieser Stelle die von Henriette und Jacob Schloss sowie von Ruth Schloss. Sie wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert. Nach dem Tod ihres Mannes kam Henriette nach Auschwitz, später nach Stutthof. Dort starb sie kurz nach ihrer Ankunft 1944. Ruth Schloss floh 1938 nach New York.
Warum hat das so lange gedauert, bis Wunstorf zu dieser Form des Gedenkens kam? Bereits vor 20 Jahren engagierten sich einige Wunstorfer dafür, berichtete Varnholt. Damals habe man aber mehr oder weniger nur in den Hinterzimmern darüber diskutiert. „Man konnte sich nicht einigen. Es gab kein Ergebnis. Keine diesbezüglichen Anträge.“ Erst durch den Einsatz des Arbeitskreises Erinnerungskultur wurde es möglich. „Wir freuen uns, dass die Steine jetzt verlegt werden und damit permanent daran erinnert wird, dass in dieser Stadt, in diesem kleinen gemütlichen Städtchen, vor 80 Jahren, auch ein ganz düsteres Kapitel stattgefunden hat. Es gab Menschen die meinten, diese Menschen haben den falschen Glauben und müssen weg. Heute gibt es in den täglichen Nachrichten ähnliche Geschichten. Auch deswegen machen wir das: Wir möchten mit diesem Erinnern davor warnen, dies zu wiederholen.“
Zu den Teilnehmenden gehörte auch Hanna Ingrid Wettberg von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover. Sie sprach das jüdische Totengebet an den Stolpersteinorten und folgte schweigend, in Gedanken versunken, von Station zu Station. Sie stammt aus einer jüdischen Familie. „Alle meine Verwandten wurden durch die Nazis im Konzentrationslager umgebracht. Meine Eltern und ich überlebten nur, weil uns ein Bauer in seinem Keller versteckte“, erzählte sie dem Autor auf dem Gang durch die Fußgängerzone. „Zu meiner Jüdischen Gemeinde gehören 800 Mitglieder – aus 18 Nationen. Und das Miteinander gelingt.“ Aber mit Blick auf die Fremdenfeindlichkeit und den zunehmenden Antisemitismus stelle sie sich selbst immer wieder die Frage: „Wo stehen wir bei diesen Themen heute? Wir sehen die Entwicklungen.“ Hilflos würde sie einer Antwort gegenüberstehen. „Aber ich weiß, aus vielen Begegnungen und Gesprächen, dass die Angst unter den Juden in Deutschland wieder sehr groß geworden ist.“
Die Anzahl der Teilnehmenden wuchs im Laufe der Aktion auf 150 Personen an. Immer wieder wurden die frisch gesetzten Gedenksteine mit Rosen geschmückt. Nach der Verlegung weiterer Stolpersteine am Eingang zur heutigen Stadtsparkasse, sagte Bürgermeister Carsten Piellusch: „Es ist ein besonderer Anlass und ein besonderer Tag für Wunstorf. Menschen, Freunde, Nachbarn sind vor vielen Jahren aus der Mitte der Stadt gerissen worden. Das wollen wir nicht vergessen. Was damals geschehen ist, ist immer noch ein unglaublicher Vorgang. Wunstorf hat sich auf den Weg gemacht an die Menschen und deren Schicksal zu erinnern.“ Dafür dankte er dem Arbeitskreiskreis Erinnerungskultur ganz besonders. Diesen Menschen, die in Konzentrationslagern entmenschlicht und auf Nummern reduziert wurden, werde durch diese Gedenksteine wieder ein Name, ein Gesicht gegeben. Sie werden in die Mitte der Stadt zurückgeholt. Schüler der IGS Wunstorf trugen hier Lebensläufe der Bürgerinnen und Bürger vor, die damals hier in ihrem Haus lebten, bis sie durch die Nationalsozialisten abtransportiert und ermordet wurden: Albert Mendel wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort starb er 1944. Henry Mendel gelang noch vor dem Novemberpogrom 1938 die Flucht nach Großbritannien. Rosa Mendel wurde 1941 nach Riga und 1944 ins KZ Stutthof deportiert, wo sie wahrscheinlich ermordet wurden. Willi Mendel flüchtete 1938 in die USA.
Im Anschluss lud das Forum Stadtkirche zu Begegnungen und Gesprächen in die Stadtkirche ein. Künstler Gunter Demnig trug sich dort in das Goldene Buch der Stadt ein, flankiert durch Bürgermeister Carsten Piellusch und Landesministerin Wiebke Osigus (SPD). „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, so Demnig. Und er versicherte, dass es ihm nicht um das tatsächliche Stolpern gehe. „Denn an den Stolpersteinen stolpert man nicht und fällt hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“ Der Arbeitskreis Erinnerungskultur wird weitermachen. Weitere 25 Stolpersteine sollen folgen. Am Montag, 16. Dezember, 11.30 Uhr, findet auf Einladung der Stadt die diesjährige Kranzniederlegung am Mahnmal für die jüdischen Opfer aus Wunstorf vor der Wunstorfer Abtei statt.