Es ist in diesem Jahr nicht gar so einfach, die Lucca-Burg zu finden. Eigentlich führt der Weg über das Klostergelände, an der Kirche, dem Konventshaus, der alten Zehnt-Scheune mit Namen „Elephant” vorbei, um dann den Backteich mit seinen Enten und Seerosen zu passieren und an dem kleinen Bach Fulde weiterzugehen. Das ist verwehrt, weil im Kloster gebaut wird. Doch es führen bekanntlich mehrere Wege nach Rom. Hier ist derzeit die Alternative, vom Gelände der Evangelischen Akademie Loccum direkt in den Wald zu spazieren. Ein Wegweiser dort zeigt an, welche Waldwege beschritten werden müssen, um zur Lucca-Burg zu gelangen. Ein winziges Stückchen führt der Pfad dabei auf dem Pilgerweg von Loccum nach Volkenroda. Raschelndes Herbstlaub liegt in diesen Tagen unter den Füßen und verfärbt den Boden in allen Schattierungen von hellgelb bis dunkelbraun. Das grüne Blätterdach lichtet sich währenddessen schon – Laubbäume säumen den Weg, Spaziergänger sollten Obacht geben, um nicht über deren knorrige Wurzeln zu stolpern. Dabei gibt es doch so viel zu sehen in diesem Forst. Sind es jetzt unzählige Arten von Pilzen, die aus dem Laub herausragen oder Baumstümpfe überwuchern, so bescheint im Frühjahr die Sonne die Ufer-Ränder der Fulde, um von den kleinen Blüten der Buschwindröschen reflektiert zu werden. In der Sommerzeit ist es nicht selten, dass eine Enten- oder Gänsefamilie den Weg kreuzt – watschelnd und quakend, hintereinander und mit nur geringer Scheu vor den Menschen, die den Wald nutzen. Klirrende Eiszapfen geben dem Forst im Winter wiederum ein neues Gesicht. Tierlaute und Blätterrauschen, vielfältige Düfte – mit allen Sinnen kann solch ein Spaziergang wahrgenommen werden. Das Ziel soll aber nun die Lucca-Burg sein. Wer sich zuvor nicht informiert hat, mag enttäuscht davorstehen, denn von einer Burg ist wahrhaftig nichts zu sehen. Ein kleiner Hügel erwartet die Gäste vielmehr, 30, vielleicht 40 Meter im Durchmesser. Ein Denkmal für einen Prior – einen der Stellvertreter des Loccumer Abtes – ist in den Hügel eingelassen. Seitlich davon führen unebene Stufen den Hügel herauf. Mehr Burg ist nicht vorhanden. Wer sich aber auf die Bank dort oben setzt, kann nicht nur den Blick über die Wiese gegenüber schweifen lassen, auf der im Sommer oft eine Muttertierherde steht, sondern sich auch ein wenig in der Zeit zurückversetzen lassen und sinnieren über das, was dort um 1100 einmal war. Damals hatten sich die Grafen von Hallermund den erhöhten Platz als Stammsitz ausgewählt. Was sie „Burg” nannten, war schon seinerzeit nicht allzu prächtig: Ein Wassergraben um den, eine Palisade auf dem Wall.. Dahinter einige hölzerne Gebäude. Und doch würde es das Kloster Loccum als eines der am besten erhaltenen Zisterzienser-Klöster heute nicht geben, wäre vor rund 900 Jahren nicht ein Graf Hallermund auf die Idee gekommen, sich dort zu verschanzen. Diese Ära dauerte allerdings nur rund 50 Jahre an – ein Erweckungs-Erlebnis soll es gewesen sein, das ihn dazu brachte, seine Burg und die umliegenden Ländereien dem damals aufstrebenden Zisterzienser-Orden zu schenken. Im Dom zu Minden wurde diese Schenkung im März 1163 feierlich besiegelt. Was dann kam ist längst Geschichte: Zwölf Mönche und ein Abt kamen in die moorige Gegend um die Lucca-Burg, lagerten wohl einige Jahre auf diesem Hügel und arbeiteten tatkräftig daran, das Kloster zu gründen. Von der Burg ist nicht mehr als der Hügel und die Erzählung um ihn geblieben. Diese Erzählung und die Geschichte des Klosters Loccum vor dem inneren Auge auf dem Hügel sitzend Revue passieren zu lassen – das macht diesen Ort aber zu einem Lieblingsplatz. Foto: jan